Dienstag, 28. Februar 2017

[ #Vorarlberg ] Antisemitismus in Vorarlberg: "Kauft nur bei Christen"

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nahm der Antisemitismus auch in Vorarlberg zu. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ist die Judenfeindlichkeit auch in Vorarlberg schließlich zu einem zentralen Element der politischen Kultur des katholisch-konservativen Lagers geworden. 

Immer wieder konnte man judenfeindliche Artikel in Vorarlberger Zeitungen lesen. Beispielsweise wurde bereits 1898 im katholisch-konservativen „Vorarlberger Volksblatt“ für mehrere Monate auf der Titelseite „Kauft nur bei Christen!“ in die Fußzeile gedruckt.

In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ist die Judenfeindlichkeit in Vorarlberg zu einem zentralen Element der politischen Kultur des katholisch-konservativen Lagers geworden: Der Antisemitismus wurde vom Feindbild zum Weltbild ausgebaut; und er wurde mit eigenen Techniken systematisch popularisiert.

Dokumentiert ist diese Entwicklung im wesentlichen im "Vorarlberger Volksblatt". Es war, als größte Tageszeitung des Landes, das maßgebliche Presseorgan des katholisch-konservativen Lagers beziehungsweise der christlichsozialen Partei.

Zwei - aufeinander bezogene - Ebenen der antisemitischen Propaganda werden dabei deutlich: ein "argumentativer" Antisemitismus, der als politisches und soziales Programm vorgestellt wird; und eine volkstümliche antisemitische Agitation, die das judenfeindliche Vorurteil durch verschiedene Techniken veralltäglicht, emotional verfestigt und schließlich, über Namensmarkierungen und Stereotypbildungen, wie ein Appell funktioniert. Erzeugung und Verbreitung dieses Antisemitismus hängen mit kulturellen Prozessen zusammen, die das soziale Prestige und den politischen Einfluß der katholisch-konservativen Honoratioren, zumal der Geistlichkeit, nachhaltig zu bedrohen schienen. Der Antisemitismus sollte gegen Liberalismus und aufklärerisches Denken immunisieren: mit Folgen nicht allein für die politische Kultur Vorarlbergs, sondern ganz unmittelbar für das Leben von Menschen in diesem Land.
Doch ist "der ewige Antisemit - heillos"? Dem judenfeindlichen Vorurteil wohnt jedenfalls eine schreckliche Dynamik inne. Zwei Bücher der Malingesellschaft stehen kostenlos als durchsuchbare PDFs online. Nicht nur für Vorarlbegensien- und Geschichte(n)sammler sondern auch für Jugendarbeit und Erwachsenenbildung.

Kurt Greussing. Geb. 1946 in Lauterach/Vorarlberg. M.A., Dipl.-Pol., Dr. phil.; Studium der Iranistik und der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Längere Aufenthalte in der Türkei, in Iran, Pakistan und West-China, Tätigkeit für verschiedene Museen (z. B. als Projektleiter beim Aufbau des Jüdischen Museums Hohenems), als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Religionswissenschaft an der Universität Bremen und 1993-2003 als Manager von Entwicklungsprojekten im südlichen Afrika.
Freischaffender Sozialwissenschafter, Projekte in den Bereichen Globalisierung und neue politische Bewegungen sowie Arbeitsmigration und Islam in Westeuropa. Veröffentlichungen zur Migrationsgeschichte Vorarlbergs, zur Ideologiegeschichte des Antisemitismus und zu verschiedenen Themen islamischer Religionsgeschichte.

Malin-Gesellschaft. Die Johann-August-Malin-Gesellschaft widmet sich der Erforschung der Vorarlberger Zeitgeschichte, und hier besonders ihren lange vernachlässigten Themen wie Antisemitismus, Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Sie bringt sich auch in öffentliche Debatten zu diesen Fragen ein. Diese Publikation und ihre freundliche kostenfreie Online-Stellung ist ein Teil dieser auch sonst beachtenswerten Tätigkeit.

[Zeitreiseführer #Vorarlberg ]⇒

Lohnt sich ein Download?  Einschneller Blick auf den Inhalt von Kurt Greussing: Die Erzeugung des Antisemitismus in Vorarlberg um 1900 Vorwort 7
2. Landeshauptmann Adolf Rhomberg - Baden in "Igeles" 10
3. Gefühlswelten, Weltbilder: Politische Mentalitäten und Lagerstreit nach 1870 15
3.1. Judentum und bürgerliche Wertethik 19
3.2. Politische Mentalitäten, Lagerbindungen 24
3.3. Antisemitismus als Antiliberalismus 30
4. Aufbau des Antisemitismus zum Weltbild 37
4.1. Bis ca. 1870: Judenfeindlichkeit in (ethnisch-religiösen) Grenzen 37
4.2. Antisemitismus - Judenfeindschaft als (religiöses) Programm 44
Katholische Arbeiterbewegung - Antisemitismus und Kampf gegen die Sozialdemokratie 52
5. Die Veralltäglichung des Antisemitismus 58
5.1. Annahme und Verbreitung von Elementen des antisemitischen Vorurteils 68
Aufs Exempel: der Priester Jakob Fußenegger 82
5.2. Alltäglicher Antisemitismus: Appell und Reflex 85
5.3. Leben unter Antisemiten 92
Der protestantische Sozialdemokrat Samuel Spindler 92
Der katholische Arzt Dr. Ignaz Mazer 100
6. Antisemitismus vor Ort - in Hohenems? 104
6.1 "Inkorporierung": Rückzug der Juden aus der Politik 106
6.2 Politische Abstinenz - aus Desinteresse? 112
6.3 ... oder aus Angst? 117
6.4 "Darwin-Rabbi" Dr. Aron Tänzer - Antisemitismus als Gegenaufklärung 120
7. Zusammenfassung: Vom Feindbild zum Weltbild.
Erzeugung und Veralltäglichung judenfeindlicher Vorurteile 134
Anmerkungen 141
Literatur 164
Personen- und Ortsregister 172
Bildquellen 175

Ein schneller Blick auf den Inhalt von Werner Dreier (Hg.): Antisemitismus in Vorarlberg
Inhalt
Einleitung 9
Karl Heinz Burmeister "... daß die Judenschaft auf ewige Zeiten aus unseren Vorarlbergischen Herrschaften abgeschafft und ausgerottet bleibe..." 19
Bernhard Purin "Der Teufel hat die Juden ins Land getragen." Juden und Judenfeindschaft in Hohenems 1617-1647 65
Harald Walser Emanzipation und Ausgrenzung. Die Hohenemser Judengemeinde im 19. Jahrhundert 84
Werner Dreier "Rücksichtslos und mit aller Kraft" Antisemitismus in Vorarlberg 1880-1945 132
Thomas Albrich Zur Kontinuität eines Vorurteils. Die ostjüdischen Flüchtlinge in Vorarlberg nach dem Zweiten Weltkrieg 250
Kurt Greussing Der ewige Antisemit - heillos. Überlegungen zur Dynamik des judenfeindlichen Vorurteils
Zeittafel 318
Autorenverzeichnis 325
Bildquellennachweis 326

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