Mittwoch, 17. März 2021

[ #Vorarlberg ] 1934-1938: Schändliche Vorarlberger Erinnerungskultur


Das Land Vorarlberg vergibt an Studierende an einer Fachhochschule, Hochschule beziehungsweise Universität im benachbarten schweizerischen, liechtensteinischen oder deutschen Grenzraum das Stipendium der Dr. Otto-Ender-Studienstiftung. 

Warum wird mit dieser "Stiftung" an einen Demokratiefeind, den Hahnenschwänzler-Führer Dr. Otto Ender erinnert? Nach reichlichen Protesten, wohl auch aufgrund dieses Beitrages hat man zwischenzeitlich dem Namen nach diese "Stiftung" beseitigt.

Das Rathaus in Feldkirch ist heute noch mit austrofaschistischen Fresken aus 1936 "verziert". Da der Name einer Studienstiftung für bedürftige Studenten auch symbolische Bedeutung hat und zum Ausdruck bringt, wessen die in dem selbständingen Bundesland Vorarlberg die politischen Machthaber ehrend gedenken wollen, ist dieser Umstand ausdrücklich kein Lorbeerkranz sondern eine Schande und vorsätzliche Geschichtsklitterung. Es geht dabei nicht darum, in halbwegs gesicherten demokratischen Zuständen verspätet den antifaschistischen Helden zu spielen oder Bilderstürmerei zu treiben, oder nachträglich die Vergangenheit umzuschreiben. Es geht darum, auch mit unseren Symbolen deutlich zu machen, wen und was wir heute für ehrenwert halten und was eben nicht.

Spottgedicht"Hahnenschwänzler, / Hahnenschwänzler! / Bist ein armer Tropf, / denn was der Hahn am Hintern trägt, / das trägst du ja am Kopf."

"Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus."  Der Chef der Vorarlberger Hahnenschwänzler war der einstige Vorarlberger Landeshauptmann Dr. Otto Ender, dem mit der "Dr. Otto-Ender-Stiftung gedacht wird! Er musste sich durch den Spott nicht kränken, er konnte die Spötter einsperren lassen. Denn die "Hahnenschwänzler" waren nichts anderes als der austrofaschistische Wehrverband "Heimwehr" in der Zwischenkriegszeit, der im "Korneuburger Eid" ("Wir wollen den Volksstaat des Heimatschutzes! Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat!") der Demokratie abgeschworen und ihrem Führer und dem politischen Terror Treue geschworen hatte. In Vorarlberg nannten er sich "Heimatdienst" (vgl. 'Kärntner Heimatdienst'), in Tirol Heimatschutz.

Hahnenschwänzler-Kostümierung. "Hahnenschwänzler" war ein Spottname für diese Demokratiefeinde, wobei ihre Kostümierung dafür den Anlass gab. Die Heimwehrler verfügten über ein bedeutendes Waffenpotential (zum Teil italienische Waffen), trugen Landesfarben (das steirische Weiß-Grün) und -trachten (Heimwehr-Hut = Feldmütze mit Spielhahnstoß, dem so genannten Hahnenschwanz) als Uniformen und veranstalteten öffentliche Aufmärsche. Zwischen 1932 und 1936 floss ein reger Geldstrom von den Kassen des faschistischen Regimes von Benito Mussolini nach Österreich: zur Unterstützung von Ernst Rüdiger Starhemberg, dem Heimwehr-Chef und Vertreter des Austrofaschismus.

Oberbefehl. Otto Ender bestand damals auf der alleinigen Befehlsgewalt des Landeshauptmannes - das war er - über den Vorarlberger Heimatdienst. Schon im Juli 1927 setzte er den Heimatdienst gegen streikende Vorarlberger Arbeiter ein. Nach dem Scheitern seiner Bundesregierung im Juni 1931 erklärte er dem österreichischen Bundespräsidenten, nur dann zur Bildung eines weiteren Kabinetts bereit zu sein, wenn er die Vollmacht erhielte, wirtschaftliche und politische Reformen notfalls auch per Verordnung - also diktatorisch ohne Parlament - durchzusetzen.

Mörderischer Alpenklub. Offiziell gegründet wurde die Heimatwehr im Mai 1920, rechtlich als Verein unter dem Namen "Selbstschutzverband Tirol". Von Anfang an wurde sie von einem Politiker der Tiroler Volkspartei, dem Rechtsanwalt Dr. Richard Steidle, als Landesleiter geführt. Erste Versuche, die diversen Selbst- und Heimatschutzverbände in den Bundesländern organisatorisch zu bündeln, gehen bis in die frühen 20-er Jahre zurück. 1923 fanden sich die Heimwehren Vorarlbergs, Tirols, Salzburgs, Oberösterreichs und Kärntens zu einem losen Verband, der "Vereinigung der alpenländischen Selbstschutzverbände", kurz "Alpenklub" genannt, zusammen, den ebenfalls Steidle präsidierte und dem sich in der Folge die Heimwehren der übrigen Bundesländer anschlossen.

Der deutsche Rechtsradikale Waldemar Pabst (Reichswehrmajor, beteiligt an der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie am Kapp-Putsch) war lange Zeit Stabschef der Heimwehr, deren Führung nach dauernden Rivalitätskämpfen 1930 an Ernst Rüdiger Starhemberg überging. Dessen wesentlichste Gegenspieler waren vorher und nachher der Tiroler Heimwehr-Chef Richard Steidle, Walter Pfrimer, Führer der steirischen Heimwehr, der enge Kontakte zu den Nazis unterhielt und Emil Fey. Nachdem im September 1931 der von Walter Pfrimer geführte Staatsstreich (Pfrimer-Putsch) gescheitert war, schloss sich seine steirische Gruppe den Nationalsozialisten an. Fey, Führer der Wiener Heimwehr gehörte zu den Initiatoren des Februar 1934 und spielte beim Juli-Putsch der Nazis im Juli des selben Jahres eine äußerst zwielichtige Rolle.

Prätorianergarde. Mit der oktroyierten "Verfassung" (Maiverfassung, der Text stammte eben von Otto Ender) vom 1. Mai 1934 ging die paramilitärische Heimwehr bald mit den übrigen bewaffneten Verbänden und faschistischen Organisationen, wie den "Ostmärkischen Sturmscharen" und dem antisemitischen "Freiheitsbund" in der "Frontmiliz" der "Vaterländischen Front" auf, die von Dollfuß und Starhemberg 1933 als faschistische Einheitspartei geschaffen worden war. Die Heimwehr - von "Bundesführer" Starhemberg später in seinen Memoiren als "bezahlte Prätorianergarde" bezeichnet - wurde am 10. Oktober 1936 als schwer kalkulierbarer innenpolitischer Faktor lästig geworden, aufgelöst.

Imitationsfaschismus. Das austrofaschistische System imitierte die Nazis. Zugegeben, einerseits um die deutschnationalen Kräfte zu binden, andererseits aber auch weil man ideologisch nicht so weit entfernt war. Mussolini war - ehe er sich Hitler zuwandte - Vorbild, Geldgeber und Verbündeter. Auch für Otto Ender, er erinnerte sich: "... Aus dem Studium gewann ich zwar nicht die Überzeugung, daß man in zwei Monaten einen ständischen Aufbau machen kann, aber den Eindruck, daß diese Ideen heute die Welt so stark beherrschen und daß das Beispiel, das Italien (sic!) gegeben hatte, einen so starken Ansporn in der Welt bot, daß vielleicht die Entwicklung eine raschere sein könnte, als ich sie mir ursprünglich vorgestellt habe. ..." Die Imitation zeigte sich besonders deutlich in der Ästhetisierung und öffentlichen Choreographie der Politik mit ihren Appellen, Beschwörungen, Schwüren, Weihen, Gesten und ihrer Führergläubigkeit. Dieses Sammelsurium maskierte sich (nicht nur)  wie waschechte Faschisten. Das Kruckenkreuz als Symbol ersetzte das Hakenkreuz, man bildete "Sturmkorps" und "Frontmilizen" rief "Heil Schuschnigg" und "Heil Österreich".

Otto Ender. Die Besetzung Österreichs durch NS-Deutschland im März 1938 bedeutete das Ende für Enders politische Karriere. Von März bis September 1938 war er in Gestapo-Haft, im Frühjahr 1939 wurde er von der NS-Regierung zwangspensioniert und bis zum Kriegsende 1945 des Landes verwiesen. So durfte er sich nach dem Krieg als nazistisch Verfolgter bezeichnen. Er war aber gerade mal sechs Monate in deutscher Haft, während tausende Österreicher ums Leben kamen.

Kein Wunder: Bereits am 1. Mai 1933 hatte er klargestellt: "Was gesund ist am Hitlertum, wollen wir aufgreifen ...". In manchen historischen Darstellungen wird Ender dennoch als Vertreter des "demokratischen Flügels" der Christlichsozialen bezeichnet. Am Tage seiner Beerdigung wurde in Vorarlberg ein Tanzverbot ausgerufen und bis heute wird von der Vorarlberger Landesregierung für Auslandsstudenten ein "Otto-Ender - Stipendium" vergeben. Gegen seinen angeblich demokratischen Flügel spricht neben dem Verfassungsentwurf auch sein politisches Handeln. So ließ er völlig rechtswidrig 1926 als Vorarlberger Landeshauptmann trotz des gesetzlichen Verbotes der Zensur den Film "Panzerkreuzer Potemkin" in Vorarlberg verbieten.

Und Otto Ender erinnert sich auch selbst: "Zu Peter und Paul 1933 war Bundeskanzler Doktor Dollfuß in Bregenz... . Kurz vor seiner Abreise nach Wien, ... eröffnete mir der Herr Kanzler, dass er mich in sein Kabinett aufzunehmen wünsche und mich mit der Leitung der Arbeiten zur Schaffung einer neuen ständischen Verfassung betrauen möchte." ... "Ich gehörte eigentlich nicht zu den Optimisten, die glaubten, es sei möglich, in kurzer Zeit die Gesellschaft ständisch aufzubauen. Ich habe an diesem Abend auch nicht zugesagt, wurde aber vom Bundeskanzler und Freunden gedrängt, ich möge mich der Aufgabe unterziehen. Ich stürzte mich zuallererst in ein intensives Studium der Enzyklika Quadragesimo anno und ihrer Kommentare sowie auf die einschlägige Literatur einschließlich der fascistischen" (sic!).

Bundespräsident Miklas hatte übrigens in einem Gespräch mit Otto Ender, der als Dank für seine "Non-Verfassung" das in jeder Diktatur arbeitslose Amt und Einkommen eines Rechnungshofpräsidenten erhielt noch am 11. März 1938 die Übernahme des Kanzleramtes angetragen. Miklas wollte tatsächlich und um keinen Preis einem Nazi die österreichische Regierung anvertrauen. Doch Ender drückte sich und wurde wohl auch deshalb von den Nazis so geschont.

Faschistische Verbrüderungen. Besonders beachtlich die Schilderung dazu in Dr. Margit Schönherr's Buch über die politischen Verbandelungen in Vorarlberg im Jahre 1938: Am Abend des 11. März 1938 rief der illegale Gauleiter der Vorarlberger NSDAP, Anton Plankensteiner, den damaligen Landeshauptmann Ernst Winsauer in dessen Dienstwohnung im Gebäude des heutigen Landesarchivs an. Er traf dort auf eine deprimierte, aber scherzende Runde mit Landesstatthalter, Landesleiter der VF (Vaterländischen Front) und weiteren VF-Funktionären. Plankensteiner forderte Winsauer auf, ihm die Amtsgeschäfte zu übergeben; dieser, nahm das widerstandslos zur Kenntnis. Es wurde also faktisch das Amt "scherzend" in die Hand eines ähnlich gesinnten Schulfreundes gegeben. Winsauer zeigte sich aber auch nach 1945 dankbar und half Plankensteiner bei der Entnazifizierung.

Der braune Plankensteiner und der schwarze Winsauer wurden beide 1890 geboren. Beide wuchsen in Dornbirn auf. Sie waren Klassenkollegen an der dortigen Oberrealschule. 1908 zählten beide zu jenen fünf Schülern, die aus Anlass der Feierlichkeiten des 60-jährigen Thronjubiläums Franz Josefs I. an der Realschule die Laudatio Austriae aus dem dritten Akt von Franz Grillparzers "König Ottokars Glück und Ende" aufführten. Solche Freundschaften und Beziehungen führten wohl dazu, dass die illegalen Nationalsozialisten in Vorarlberg vor 1938 von den austrofaschistischen Behörden unter Landeshauptmann Winsauer "milder" behandelt wurden. Zeitzeugen verweisen in Lebenserinnerungen jedenfalls darauf. Faktum ist, dass Winsauer die Jahre der NS-Herrschaft im Vergleich zu anderen begünstigt überlebte.


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