Sonntag, 19. März 2023

[ #Vorarlberg ] 15. März 1933: Haussuchungen in Vorarlberg


Das Parlament ist ausgeschalten und der Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender setzt Gendarmerie und Bundesheer gegen sozialdemokratische Bildungs- und Genossenschaftseinrichtungen ein, lässt über den Landtagsabgeordneten Anton Linder gar eine "Schutzhaft" verhängen. 

Das Jahr 1933 bringt nicht nur in Deutschland (Deutsches Reich), sondern auch in Österreich einige große Veränderungen mit sich: Ausschaltung des Parlaments, Regierungsgesetzgebung, Staatspartei. Österreich und das Deutsche Reich stehen sich nun auch in beiden Staaten plötzlich nicht mehr als offene Demokratien gegenüber, sondern als jeweils autoritäre Staaten. Österreich verstand sich noch als autoritär-katholisch das Deutsche Reich als nationalsozialistisch-antichristlich. In vielen Fragen wurden aber die gleichen Wege und propagandistischen Antworten gewählt ("Imitationsfaschismus"). Die nachträgliche Rechtfertigung des Austrofaschismus als Front gegen den Nationalsozialismus oder Dollfuß als "Märtyrer der Österreichidee" lässt sich nicht halten, vielmehr ist man heute der Auffassung, dass gerade diese Entwicklung in Österreich den Zugriff Hitlerdeutschlands auf Österreich erheblich erleichtert hatte.

Landeshauptmann Otto Ender. Auf ausdrücklichen schriftlichen Befehl des Bundeskanzlers Dollfuß wurden an diesem Tage (15.3.1933) die Parlamentsabgeordneten in Wien am Zusammentreten im Parlament mit Polizeigewalt gehindert, das demokratisch gewählte Parlament damit ausgeschalten und eine faschistische Diktatur errichtet.

Auch in Vorarlberg wurde an diesem Tag Hausdurchsuchungen "nach Waffen" im Auftrag des Vorarlberger Landeshauptmannes und austrofaschistischen Heimwehrführers Dr. Otto Ender durchgeführt. Die Aktion ist wohl eben in dem Zusammenhang mit der Ausschaltung des Parlamentes zu sehen und stand sichtlich in einer österreichweit koordinierten Aktion. In der Vorarlberger Heimwehr ("Heimatschutz") waren bis Mai 1933 noch die Christlischsozialen und die Deutschnationalen / Nationalsozialisten in einer paramilitärischen Organisation tätig, ein Kontakt welcher sowohl während des Nationalsozialismus etlichen Austrofaschisten das leben erleichterte wie auch in der Nachkriegszeit etlichen Nationalsozialisten bei der "Entnazifizierung" hilfreich sein sollte.

Werner Bundschuh berichtet über diese Haussuchungen in Vorarlberg (Werner Bundschuh: Anmerkungen zum Lebenslauf von Anton Linder):

"Am 15. März 1933 wurden im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung sozialdemokratische Parteilokale, Konsumgeschäfte sowie Privatwohnungen von führenden Funktionären nach Waffen durchsucht. Natürlich traf diese Maßnahmen auch das Dornbirner Arbeiterheim. An diesem Tag setzte sich Vereinsobmann, Bundesrat und Landtagsabgeordnete Anton Linder an seine Schreibmaschine und richtete zwei bis auf die Anrede wortidente Briefe an den Präsidenten des Vorarlberger Landtages sowie an den Vorsitzenden des Bundesrates:

'Sehr geehrter Herr Vorsitzender!

Anläßlich einer am heutigen Tage im Arbeiterheim Dornbirn durchgeführten Waffensuche haben Gendarmeriebeamte in meiner Kanzlei meinen Schreibtisch durchsucht und auch eine Durchsuchung meiner Privatwohnung vorgenommen. Über mich selbst wurde auf die Dauer der Durchsuchung, die ca. 2 Stunden andauerte, Schutzhaft verhängt und mir das Telefonieren untersagt.

Da der Vorgang eine krasse Verletzung meiner Immunität darstellt, melde ich diese Immunitätsverletzung an und bitte Sie, sehr geehrter Herr Vorsitzender, das Nötige veranlassen zu wollen.

Hochachtend
Anton Linder e.h.'

Linders Protest war vergeblich, war doch die Durchsuchung auf Anordnung von Landeshauptmann Otto Ender vorgenommen worden. In einem Antwortschreiben rechtfertigte dieser das Vorgehen der Gendarmerie- und Militäreinheiten bei der Durchsuchung der sozialdemokratischen Parteilokale.

Die Leitung der Aktion im Arbeiterheim Dornbirn (heute "Vorarlberger Hof") oblag Dr. Rudolf Kopf, dem späteren NS-Landesstatthalter. Nach seiner Aussage habe er erst knapp vor der Aktion erfahren, dass er auch in Linders Wohnung, die sich im Arbeiterheim-Haus befand, nach Waffen suchen solle. Dass er dabei den Bundesrat und Landtagsabgeordneten "unter Schutzhaft" stellte, trug ihm später eine verräterische Rüge des Landeshauptmanns ein. Er musste sich belehren lassen, dass es diesen Terminus im österreichischen Recht nicht gebe, dass er in der Sache zwar richtig gehandelt, jedoch einen falschen - wohl aus dem nationalsozialistischen Deutschland stammenden - Ausdruck verwendet habe."


 [Zeitreiseführer #Vorarlberg ]⇒ 

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